Jan Tomáš “Miloš” Forman ist verstorben
Regisseur Milos Forman * 18 February 1932 – + 13 April 2018 – zwischen Prag und Hollywood
Milos Forman, durch Filme wie «Amadeus» und «One Flew Over the Cuckoo’s Nest» berühmt geworden, ist im Alter von 86 Jahren in den USA gestorben. Was macht das Geheimnis seiner Kunst aus?
Milos Forman gehörte zu den wenigen europäischen Regisseuren, die in Hollywood einen ebenso durchschlagenden wie nachhaltigen Erfolg erzielen konnten. «One Flew Over the Cuckoo’s Nest» wurde 1976 mit fünf Oscars ausgezeichnet, «Amadeus» 1985 sogar mit acht. Worin liegt das Geheimnis von Formans Kunst? Wahrscheinlich ist es die einzigartige Mischung von Bohème-Avantgarde-Kunst und amerikanischem Publikumskino, die den attraktiven Kern von Formans Regiearbeit ausmacht. Seine Filme verfügen über eine starke satirische Dimension – unter der komischen Oberfläche verbirgt sich jedoch immer eine Tragödie. Dieser ambivalente Formwille wurzelt tief in der tschechischen Kultur: einerseits im Kabarett der Zwischenkriegszeit, andererseits in der Lyrik des Poetismus.
Die Eltern wurden ins KZ deportiert
Forman wurde 1932 in einer böhmischen Kleinstadt geboren und geriet alsbald in den Mahlstrom der europäischen Geschichte: Sein Vater wurde als Mitglied einer tschechischen Widerstandsorganisation von Hitlers Schergen verhaftet, seine Mutter wurde wegen ihrer jüdischen Abstammung deportiert. Beide Eltern starben in deutschen Konzentrationslagern, Milos Forman wuchs bei einem Onkel auf.
Nach dem Krieg schrieb er sich an der Prager Filmhochschule für ein Dramaturgiestudium ein, nachdem ihn die Theaterakademie abgelehnt hatte. Die szenografische Ausbildung wurde prägend für Formans praktische Arbeit am Set: An den meisten seiner Drehbücher schrieb er selbst mit. In seinen frühen Filmen arbeitete er meist mit Laiendarstellern, denen er das Drehbuch nicht zu lesen gab. Er spielte jeweils eine Szene vor, die Schauspieler mussten dann vor der Kamera die Handlung improvisieren. Forman entwickelte ein scharfes Auge für überzeugende Erzählstränge und legte in seinen Filmen grossen Wert auf eine visuelle Grundidee. So definiert etwa die Rückblende des greisen Salieri die gesamte Erzählstruktur von «Amadeus». Ähnliches gilt für seinen Lieblingsfilm «Hair» (1979), in dem die Schlussszene das politische Protestpotenzial der Hippiekultur offenlegt – auf diesen Schwerpunkt gravitiert die sonst schwach ausgeprägte Handlung.
Politisch motiviertes Verbot
In den sechziger Jahren geriet Forman das erste Mal in die Kluft zwischen Politik und Markt: «Der Feuerwehrball» (1967), eine Satire auf die stalinistische Gesellschaft, wurde von Carlo Ponti finanziert, der gerade mit der Verfilmung von «Doctor Zhivago» viel Geld verdient hatte. Sowohl den kommunistischen Behörden als auch dem italienischen Produzenten gefiel der Film nicht, interessanterweise aus demselben Grund: Beide monierten, in «Feuerwehrball» werde der kleine Mann verhöhnt. Das politisch motivierte Verbot des Films konnte Forman verkraften, er geriet aber in grosse Schwierigkeiten, als Ponti seine Investition zurückforderte.
Immerhin war die amerikanische Filmindustrie auf den jungen tschechischen Regisseur aufmerksam geworden. Kurz nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 reiste Forman mit einem Paramount-Vertrag nach New York. Er verstand sich jedoch nie als politischer Emigrant, sondern als Künstler, der nach idealen Arbeitsbedingungen suchte. Dieses Ziel verfolgte Forman mit aller Konsequenz; er nahm dafür sogar die Trennung von seiner Familie in Kauf. Die ersten Jahre in den USA waren für Forman eine Durststrecke – er lebte als Künstler auf Abruf von der Hand in den Mund. Sein erster amerikanischer Film «Taking Off» (1971) war ein Misserfolg.
Trotzdem engagierten ihn Michael Douglas und Saul Zaentz für die Verfilmung von Ken Keseys Erfolgsroman «One Flew Over the Cuckoo’s Nest» (1975). Forman arbeitete bei dieser Produktion erstmals mit professionellen Schauspielern, allen voran Jack Nicholson, der gerade mit «Easy Rider» (1969) und «Chinatown» (1974) berühmt geworden war. Nicholson erwies sich als Glücksfall für das «Kuckucksnest» – Forman blieb allerdings skeptisch gegenüber Stars, die seiner Meinung nach zu stark von der künstlerischen Faktur des Films ablenkten. Forman konnte in dieser Hinsicht indes sehr pragmatisch sein. Für «Ragtime» (1981) verpflichtete er den Altstar James Cagney und sorgte so für die nötige Publicity seines Films.
«Amadeus» als thematisches Leitmotiv
Die Verfilmung von Peter Shaffers Theaterstück «Amadeus» war für Forman ein Ticket in seine Heimat. 1977 hatte er die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen; seine Visumsanträge wurden danach in der Tschechoslowakei abschlägig beantwortet. Mit der teuren Filmproduktion, die er in Prag durchführen wollte, konnte Forman die kommunistischen Behörden ködern.
«Amadeus» war nicht nur Formans erfolgreichster Film; er setzte auch thematisch das Leitmotiv für sein weiteres Schaffen. Der späte Forman konzentrierte sich auf Biografien, in denen er nicht selten auch Aspekte seines eigenen Lebens reflektierte. So geht es etwa in «The People vs. Larry Flynt» (1996) nur vordergründig um eine Kritik an der prüden amerikanischen Sexualmoral. Forman präsentiert vielmehr einen unbequemen Aussenseiter, der mit seiner Pornozeitschrift «Hustler» für einen Grundwert der amerikanischen Kultur kämpft: die Meinungsfreiheit.
Forman inszeniert dabei ein ironisches Spiel zwischen Realität und Fiktion: Er lässt den echten Larry Flynt einen Richter spielen, der den Filmhelden Larry Flynt zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Letztlich findet sich auch Forman selbst in Flynts Dilemma wieder, wenn er in diesem Film Bilder des Holocaust direkt neben pornografische Darstellungen montiert – mit dieser schockierenden Szene will Forman zeigen, dass die Fotografie eines Massenmordes straffrei ist, die Fotografie des Sexualaktes hingegen kriminalisiert wird.
Autobiografische Dimension
Mit der Verwechslung von fiktionalen und realen Rollen spielt Forman auch im Film «Man on the Moon» (1999), in dem er das Leben des Komikers Andy Kaufman rekonstruiert. Der früh verstorbene Schauspieler liess sein Publikum über seinen wahren Charakter im Dunkeln, sogar sein Tod im Jahr 1984 könnte eine geschickte Inszenierung gewesen sein. Forman will allerdings nicht dem Rätsel Kaufman auf den Grund gehen, sondern zeigt verschiedene Selbstpräsentationen des Künstlers. Damit wird der «Mondmann» lesbar als eine filmische Parabel auf das gesellschaftliche Spiel mit konstruierten Identitäten.
Die autobiografische Dimension von Formans Kino zeigt sich deutlich in seinem letzten Kinofilm, «Goya’s Ghosts» (2006). Der Regisseur spiegelt sich in der Figur des spanischen Malers, der die Desaster der napoleonischen Kriege in seiner derben Kunst eingefangen hat, sich dabei aber nicht politisch engagieren will. Auch Goya gerät – wie Forman mit «Feuerwehrball» – durch ein zu realistisches Porträt in Konflikt mit den Machthabern.
Ein weiteres Motiv ist die zufällige Elternschaft; eine junge Frau erkennt ihre eigene Tochter nicht und nimmt ein anderes Kind an. Forman selbst stammt aus einer solchen Familienkonstellation: Seine Autobiografie «Rückblende» (1994) widmete er seinen Eltern, «allen dreien». Gemeint waren damit seine Mutter, ihr Mann und ihr Liebhaber, ein jüdischer Architekt, der rechtzeitig vor den Nazis nach Südamerika geflohen war und dort eine eigene Familie gegründet hatte. Forman erfuhr erst als Erwachsener von seinem biologischen Vater; der Kontakt zu ihm beschränkte sich jedoch auf eine einzige Postkarte.
Milos Forman hatte ein scharfes Auge für die Absurdität der menschlichen Existenz – gerade das offensichtliche Sinndefizit des Lebens in einengenden Bedingungen hat ihn dazu veranlasst, Menschen mit der Kamera zu beobachten und ihre tragikomische Biografie in eine Filmhandlung zu bringen. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Warren, Connecticut. Er wohnte in einem Landhaus, dessen idyllische Lage in einem Kiefernwald ihn an die nordböhmische Landschaft seiner Kindheit erinnerte. Am vergangenen Freitag, dem 13. April, ist er im Krankenhaus von Danbury, Connecticut, im Alter von 86 Jahren gestorben. (Quelle NZZ)
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